Endo-Management - Wissenslenkung in Cyber-Ökonomien

Virtuelle Märkte erfordern neue Spielregeln für die Navigation und die Erzeugung von Wissen. Endo-Management beschreibt das neue Paradigma
der Cyber-Welten und die in Cyber-Ökonomien notwendigen Lenkungscharakterisitika.

Was ist Wissensmanagement?

Wissensmanagement ist eine integrale Vorgehensweise, um das Wissen von Individuen, Teams, Organisationen oder Gesellschaften weiterzuentwickeln. Wissensmanagement verfolgt hierbei das Ziel, Wissen im Einklang mit der Unternehmensstrategie effizienter zu navigieren, zu erzeugen, zu nutzen und zu kommunizieren, um die Lebensfähigkeit und Kernkompetenzen von Unternehmen ständig zu verbessern. Da in den meisten Unternehmen weniger als 50 % des vorhandenen Wissens genutzt wird, ist Wissen der wichtigste Rohstoff der Zukunft.

Wissen besteht aus Daten, beim Individuum erzeugten Informationen, aus zuvor gemachten Erfahrungen, aus Kreativität und emotionaler Intelligenz. Wissen ist somit ein mehrdimensionales Phänomen, daß untrennbar mit den menschlichen Interfaces und ihren Interaktionen gekoppelt ist. Die Entwicklung des Wissensmanagements wird durch die Zunahme der Interaktionen im Internet nachhaltig beeinflusst.

Die Vorteile eines gezielten Wissensmanagements sind ein kostengünstiger und schneller Zugang zu internen und externen Wissensquellen, die Reduzierung des Zeitaufwandes beim Hervorbringen von Innovationen, die  Förderung der Kommunikations- und Teamfähigkeit bei den Mitarbeitern, Effizienzsteigerungen durch direkten Zugriff auf Daten durch alle Mitarbeiter, die Beschleunigung sämtlicher Unternehmensprozesse, eine effektivere Einbindung von Kunden in problemlösungsorientierte Netzwerke sowie die Möglichkeit der interaktiven Kommunikation und Simulation in komplexen Projektumgebungen. Erfolgreiches Wissens-Management erfordert interdisziplinäres Wissen, welches die unterschiedlichen Fachgebiete verbindet und dadurch zum Katalysator für Innovationen werden kann.

Wissensstrategien

Zielorientiertes Wissensmanagement erfordert die Lenkungsfähigkeiten im Hinblick auf Daten- und Informationserzeugung auf allen organisatorischen Ebenen zu verbessern. Dies ist die Voraussetzung damit Führungskräfte, Sacharbeiter oder Studenten Gestaltungsprozesse mit der Ressource Wissen vornehmen können. Unternehmen, die zukünftig nicht über ein effizientes Wissens-Management verfügen, werden in einem wissensintensiven Wettbewerb nicht bestehen können.

Die Wissensstrategie versucht deshalb die Innovationsfähigkeit von Organisationen systematisch zu verbessern, mit dem Ziel die Adaption an die Kundenbedürfnisse zu steigern. Statt lediglich einen Return on Investment (ROI) zu betrachten wird zunehmend auch ein Return on Knowledge (ROK), d.h. eine qualitative Größe bei der Bewertung des Unternehmungserfolges eine Rolle spielen. Die Wissens-Strategie gibt dem Wissensmanagement eine konkrete Richtung und definiert, wo Wissensdefizite sind und welche neuen Wissensquellen erschlossen werden müssen.

Wer Wissen in Unternehmen hortet ohne es weiterzugeben, schadet dem Unternehmen. Deshalb muß es das Ziel jeder Wissensstrategie sein, die Fähigkeiten der Mitarbeiter derart zu schulen, daß diese das Wissen mit anderen Teilnehmern teilen und gemeinsam weiterentwickeln. Da effizientes Wissens-Management auch eine intelligente Vernetzung von Unternehmen bedingt, werden Firmen, die ein zielorientiertes Management der Ressource Wissen betreiben wollen, nicht umhin kommen, ihre Unternehmensstrukturen den Hyperlink-Strukturen des Meta-Wissensnetzes Internet anzupassen.


Wissen schafft Wachstum

Management von Wissen ist ein typischer Endo-Prozeß, da er innen bei den Individuen beginnt und sich mit der temporären Vernetzung zu Endo-Netzen im Rahmen von Teams oder größeren Diskussionsgruppen fortsetzt. Voraussetzung für die Generierung von neuem Wissen ist jedoch, daß die Wissensquellen frei zugänglich sind (Wissenstransparenz), daß das Wissen im Unternehmen zielgerichtet weitergereicht wird (Wissenskommunikation) und daß dieses Wissen von den Teilnehmern auch verwendet werden kann (Wissensanschlußfähigkeit).

Die Halbwertszeit neuer Technologien, Strukturen und Prozesse erfordert ein spezielles Wissensmanagement im Hinblick auf Innovationen und Erfindungen. Beispiele aus erfolgreichen Unternehmen wie Microsoft, Intel oder Compaq zeigen, daß durch die gezielte Nutzung und Weiterentwicklung des in den Unternehmen vorhandenen Wissens Kostensenkungs- und Wachstumspotentiale freigesetzt werden können, die mit herkömmlichen Verschlankungsansätzen oder Reorganisationskonzepten nicht hätten erreicht werden können. Qualitatives Wachstum durch Wissensaustausch erfordert jedoch Echtzeitsysteme, die instantane Diskussionen und Interaktionen in Internet-Foren, Intranets oder mit externen Netzwerken erlauben.

Endo-Management

Beim Endo-Management (= Unternehmensführung im Cyberspace) geht es um die Gestaltung, Simulation und Lenkung von künstlichen Welten sowie die Wahrnehmung, Kommunikation und Interaktion mit diesen Cyber-Welten durch Virtuelle Realitäten. Netzwerke werden hierbei nicht im Rahmen von Markt- oder Organisationsuntersuchungen, sondern im Rahmen von Interfaces betrachtet, d.h. von Strukturen und Prozessen, die unsere Wirklichkeiten konstruieren. Die Vielfalt der simulierten Alternativen erfordert hierbei Freiräume für die Teilnehmer, damit neue Regeln sowohl für die Exo (Außen)- als auch die Endo (Innen)-Welten erfunden werden können. Da der Mensch gleichzeitig Teilnehmer der physischen Exo-Welt sowie Teilnehmer der Endo-Welt des Computers im Rahmen des Cyberspace sein kann, hat er die notwendige Exo-Perspektive (Super-Beobachter-Status) gegenüber der Simulation, um die Endo-Welten weiterzuentwickeln und zu verbessern. Darüber hinaus erfolgreiche Problemlösungen innerhalb des Cyberspace gegebenenfalls auch auf physische Exo-Welten übertragen werden.

Ein Beispiel für erfolgreiches Endo-Management sind "Community Networks", d.h. Systeme, die sich an die gesamte Bevölkerung eines lokalen Gemeinwesens richten. Derartige Communities haben das Ziel Bürgerinnen und Bürger kostenlos bzw. gegen ein äußerst geringes Entgelt an den Vorteilen der direkten Kommunikation und des echtzeitorientierten Wissensaustausches partizipieren zu lassen. Die Lenkungsproblematik wird oftmals von Software-Experten ignoriert und alleinig auf technologische Problemlösungen eingeengt. Es gibt jedoch keine Algorithmen für Communities, da diese sich durch die Wechselwirkung der Teilnehmer selbst organisieren und ständig neue Interfaces designen. Das Endo-Management von  "Community-Networks" basiert hierbei auf folgenden Erfolgscharakteristiken: dauerhafte Identitäten, fortgesetzte Interaktion, Anschlußfähigkeit an vorhergehende Kommunikation, Transparenz der Handlungen der einzelnen Teilnehmer, eindeutige Spielregeln, eine relativ stabile Population, wohl definierte Grenzen sowie einen Mehrwert für die Teilnehmer, der in sozialen Bindungen oder einer Erhöhung des Wissens besteht.


Evolution des E-Commerce
 

E-Commerce bezieht sich nicht nur auf An- und Verkäufe, sondern auch auf Tauschbörsen, Auktionen und Schenkungen. Die Kundenanbindung in Endo-Märkten wie dem Internet ist schwieriger als in den physischen Exo-Märkten, da es viel mehr Auswahlmöglichkeiten unter Alternativen gibt.

Wenn der Kunde dasselbe Produkt wesentlich kostengünstiger bekommen kann, müssen besondere Mehrwertdienste geboten werden, damit ein Kunde dennoch das teurere Produkt kauft. Durch die telematischen Medien ist es für den Kunden wesentlich einfacher seine Wünsche zu artikulieren und über Diskussionsforen Wissen über die besten Anbieter zu sammeln. Der Kunde wird noch direkter auf die ihn interessierenden Unternehmen zugehen.

Firmen-Communities, d.h. Gemeinschaften, die von Unternehmen ins Leben gerufen werden, führen zu einer besseren Kundenanbindung. Nichts hindert jedoch den Kunden parallel in mehreren dieser Communities aktiv zu sein, so daß er sich immer weniger von Verkäufern manipulieren lassen wird. Die Parallelwelten des Cyberspace schärfen das Bewußtsein für Anbieter-Vergleiche in Echtzeit, d.h. um einen Nicht-Kunden in virtuellen Märkten zu gewinnen und zu behalten wird wesentlich mehr Nutzen angeboten werden müssen als in den physischen Märkten.

Zukünftig wird es im Bereich des E-Commerce zwei wesentliche Trends geben. Einerseits das Anbieten Intelligenter Agenten, die dem Kunden das Leben erleichtern und ihn individuell mit den gewünschten Daten versorgen. Andererseits das Anbieten intelligenter Wissens-Plattformen, d.h. den Kunden ermöglichen, ihr Wissen zu erweitern. Da wir uns auf eine interaktive Wissens-Ökonomie zubewegen, werden die Firmen überlegen sein, die nicht mehr allein auf Sport- oder Kultur-Sponsoring setzen, sondern dem Wissens-Sponsoring höchste Priorität einräumen. Dabei wird es in der Wissens-Ökonomie neuartige Gewinnspiele geben. Die virtuellen Märkte erlauben uns besser als physische Märkte, Win-Win-Spiele zu führen.

Trotzdem wird auch in den virtuellen Märkten niemand vor dem völligen Ruin bewahrt werden können, wenn ein Aktien-Crash die Finanzmärkte in den Keller schickt. Hierbei spielt der Begriff der "Millisekundenpleite" eine entscheidende Rolle. Die Spiel-Casino-Ökonomien der Elektronischen Märkte führen zu Winner-Loser-Spielen, bei denen einzelne Teilnehmer aber auch Banken oder Anlageverwaltungsfirmen nahezu in Echtzeit bankrott gehen können. Allerdings besteht auch die Möglichkeit dem Dilemma der virtuellen Zocker-Wirtschaft zu entgehen. Die größten Gewinnspiele werden nämlich dann möglich, wenn Geld nicht in spekulative Zwecke oder Rentenpapiere investiert wird, sondern in Venture Capital, welches Innovationen hervorbringt.


Minimale Transaktionskosten

Elektronische Marktplätze sind neuartige Infrastrukturen, die durch die zunehmende Telematisierung der Gesellschaft durch Computer entstehen. Hierbei wird der bisherige Handel zu einem hohen Grad durch den elektronischen Handel ergänzt bzw. substituiert. Auf den Elektronischen Märkten kann prinzipiell alles zum Verkauf angeboten werden, wobei eine Vielzahl der Geldtransaktionen zukünftig digital durchgeführt wird. Elektronische Märkte sind Märkte, die wie jeder Markt, der Allokation von Ressourcen dienen, welche von Kunden benötigt werden. Netzwerkorientierten Märkte weisen ein hohes Maß an Komplexität, Parallelität und Globalisierung auf und lösen eine Vielzahl von hierarchischen Märkten ab. Die Online-Präsenz im Internet bietet Unternehmen eine einzigartige Chance ihre Produkte und Dienstleistungen ohne hohe Transaktionskosten einem großen Publikum anzubieten. Aufgrund der deutlichen Reduzierung der Transaktionskosten, erlauben Elektronische Märkte völlig neue Mehrwertdienste für die Kunden.

Der Einsatz der Telematik ermöglicht eine Aufhebung des physischen Raumes und die Möglichkeit der interaktiven Telepräsenz. Aufgrund des zunehmenden Einsatzes der Computertechnologie und deren Vernetzung sind die Kosten der Kommunikation in den letzten Jahren stark gesunken, wobei dieser Trend ungebrochen ist. Durch die starke Wachstumsrate der Internetanschlüße wird momentan die Voraussetzung geschaffen, daß Elektronische Märkte einen Großteil der bisherigen physischen Marktaktivitäten in digitale oder virtuelle Transaktionen überführen. Es waren die wegweisenden Arbeiten von Ronald Coase, die die Möglichkeit von Märkten mit minimalen Transaktionskosten aufgezeigt haben. Es ist insbesondere die Kosteneffizienz einer Transaktion, welche die Organisationsform wirtschaftlicher Transaktionen bestimmt. Der vernetzte Marktplatz ermöglicht es hierbei kleineren Unternehmen mit vergleichsweise geringen Mittel, die gleiche Internet-Präsenz zu erzielen wie mittlere und große Unternehmen. Da in der digitalen Ökonomie, die Markteintrittsbarrieren für die globale Markterschließung somit relativ gering sind, wird der Wettbewerb in diesen Märkten dramatisch zunehmen.


Auf dem Weg zu Endo-Ökonomien
 

Die Virtualisierung der Ökonomie hin führt zu immer komplexeren Vernetzungen, die bestehende Markt- und Hierarchieprinzipien aufheben.  Es entstehen innerhalb der Cyber-Welten Endo-Ökonomien, d.h. Cyber-Ökonomien die auf Virtuellen Realitäten, digitalen Transaktionen und Simulationen basieren, die die bestehenden Produktions- und Verteilungssysteme der Güter transformieren. Das bisherige Markt-Prinzip basiert auf der Kaufkraft der Kunden. In einer Endo-Ökonomie haben die Besitzer von Waren Schwierigkeiten, eine Vielzahl von Menschen von der Nutzung der Ware auszuschließen, da eine virtuelle Ware einfach kopiert werden kann und die Transaktionskosten für die Nutzung von Waren dramatisch sinken. Die Verlagerung der Macht von den Verkäufern zu den Käufern und von rivalisierenden zu nicht rivalisierenden Produkten und Dienstleistungen wird dazu führen, in neuer Weise über Märkte nachzudenken. Da in einer Welt der zunehmenden Daten und komplexen Vernetzungen ein Mangel an Transparenz ein Hauptmerkmal sein wird, werden Produkte und Dienstleistungen, die die Endo-Ökonomie transparenter machen die größten Wachstumsraten verzeichnen. Hierzu gehören Intelligente Agenten, Wissens-Navigatoren und Warentransaktionssysteme.

Im Rahmen einer Endo-Perspektive entwickelt sich die Käufer-/Verkäufer-Ökonomie immer mehr zu einer Geschenk-Ökonomie.  In einer solchen Ökonomie gibt es eine Vielzahl von Produkten, die nicht im Wettbewerb zueinander stehen, weshalb ein Stückpreis oftmals keinen Sinn macht, da er die Verteilung des Produktes behindern würde. So war es gerade die fehlende Information des Kunden vor dem Kauf eines Softwareproduktes, die zur Entstehung des Shareware-Marktes, zu freien Beta-Versionen oder der Verteilung kostenloser Browser, wie der von Netscape, führten.  Viele bereits benützte Güter einer Endo-Ökonomie können auch auf Auktionen gehandelt werden. Die Einführung von sogenannten Commodity Bots wie dem Datawarehousing von Living Systems ermöglicht es, auf globaler Ebene Wünsche zu artikulieren und Transaktionen in Echtzeit durchzuführen. Wenn die Reproduktionskosten einer virtuellen Ware nahe bei Null liegen, kann jeder diese nahezu kostenfrei erhalten.  Datawarehousing bringt nicht nur Verkäufer und Käufer zusammen, sondern auch die Käufer untereinander, wenn diese "Zweite Hand"-Ware verkaufen, tauschen oder verschenken wollen. Das Potential dieser Transaktionen aus Zweiter Hand ist enorm, da wegen der Erhöhung der Nutzungsdauer nicht so viele Güter produziert und recycelt werden müssen. Somit stehen wir vor spannenden Entwicklungen, die zu völlig neuen ökonomischen Vorstellungen und Handlungsweisen der Teilnehmer führen werden.

Artur P. Schmidt
 

Beitrag veröffentlicht am 30.Oktober 1997

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