Die schnellen Entwicklungen im Bereich der Informations- und
Biotechnologie rechtfertigen den eingeschlagenen Weg der Ars Electronica:
Die 21. Durchführung vertiefte "life science" mit einem Motto, was Öffentlichkeit
garantiert: "Next Sex". 500 Personen drängten sich in den Container auf
dem Hauptplatz in Linz. 140 Männer rubbelten sich vor Ort Samenflüssigkeit
aus dem Körper. 97 Samenproben stiegen in ein Wettrennen der Spermien.
Gewonnen haben jene mit dem Codenamen "Lemon"! Rund ein Drittel der 2.3
Millionen Zugriffe auf die Seiten von www.ars.at/nextsex im Internet interessiert
sich für dieses "Spermrace". Harald Schmidt auf Sat1 und Vera auf ORF2
übernahmen die weitere Promotion.
Vielleicht ist es so, wie es die Veranstalter sagen: Humor
ist ein günstiger Träger für Auseinandersetzung mit heiklen Themen. Vielleicht
ist es so, wie Neil Postman es sagt: Wir amüsieren uns zu Tode. Sicher
aber scheint, dass, wer unter den Bedingungen von Informationsflut kein
schnell verkaufbares Produkt präsentiert, im Datenmeer der Medien nicht
aufzutauchen vermag. Die Ars Electronica scheint dieses Business zu verstehen.
Die fragwürdige Art der Präsentation eines Randy Thornhill, welche die
"Evolutionsbiologie der Vergewaltigung" vorstellt, schafft locker weitere
Schlagzeilen und damit wiederum Öffentlichkeit. Und damit Wirklichkeit.
Lenkungen, welche nicht ablenken sollten:
Die Biologie ist auf einem linaren Weg und darf jetzt auch
noch dessen historisch bewiesene Stärke erleben. Zusammen mit der Informationstechnologie
mischt sich hier ein Wässerchen, was mehr als sprudeln und brodeln kann.
"Durchblutetes Fleisch verkleidet Computer." Wer kann wissen, was daraus
folgt? Schmetterlingen die Zeichnung auf den Flügeln zu verändern scheint
harmlos. Mit dem Computer manipulierte menschliche Genitalien auf grossformatige
Poster aufzuziehen, entlockt keine Regung. In keiner Körperzone.
Der Verdienst der Ars Electronica aber ist es, dass diese
Fragen sichtbar werden. Hier treffen sich nicht Spezialisten mit ihren
Kollegen. Hier treffen sich Mikrobiologen mit Grafikdesigner, mit Techniker,
mit Soziologen, mit Psychologen... Wer an der Ars ist, liegt quer. Ist
so interessiert. Und weiss auch warum: "Jeder Fortschritt ist ein Gewinn
im Einzelnen und eine Trennung im Ganzen; es ist das ein Zuwachs an Macht,
der in einen fortschreitenden Zuwachs an Ohnmacht mündet. Und man kann
nicht davon lassen." (Musil) Die Welt ist komplex. Wissen ist Ohnmacht.
Der interdisziplinäre Austausch nötig. Nicht nur als Grundlage für Orientierung.
Auch für die Produktion von Kreativität.
Es ist schwierig zu erkennen, was aktuell erfunden wird. Unternehmen
verlassen sich dabei längst nicht mehr auf die Wissenschafter in ihren
Labors. Die Künstler bieten sich an und verkaufen ihre Hinweise mittlerweile
zu angemessenen Preisen: Schweineteuer! Dabei kann diese Gattung nicht
einmal selbst über ihr Werken reden; der Markt der Kuratoren will zusätzlich
finanziert sein. Das führt an Grenzen. Nicht nur die Ars Electronica,
sondern auch das renommierte Massachusetts Institute of Technology (www.mit.edu)
in Bosten zeigt, wie es weiter geht: Die dort entwickelten neusten Bausteine
von "Lego" werden an Kinder verteilt!
Unter dem Deckmantel, dass Kinder mit der neuen Medienwelt
bekannt gemacht werden müssen, richten sich ergraute Herren ein Kreativzentrum
ein. Natürlich absolut der heutigen Arbeitsweise angepasst: dezentral,
digitalisiert, dematerialisiert. Wer will Kinder dort, wo konzentriert
gearbeitet werden muss? Eben! Die Kids sollen zuhause am PC von Papi arbeiten
und das Ergebnis ins Internet stellen. Fertig.
Schon die Vorstellung ist eine Frechheit, dass Kinder Unterstützung
in der Eroberung der neuen Medienwelt brauchen. (Und wenn, dann doch sicher
nicht jene, welche über einen Papi mit Internetaccess verfügen!) Noch
bevor unsere Kinder ihre zwei Strampelchen zum Üben des "aufrechten Ganges"
einsetzen können und weder "Mama" noch "Auto" sagen, haben sie die Fernsteuerung
des TV-Gerätes abgelutscht, durchgekaut und hundertfach eingesetzt. Für
Kinder ist der Umgang mit Technologie so selbstverständlich wie für andere
Generationen der Umgang mit dem Auto, dem Telefon oder der Zentralheizung.
Kinder scheinen sich als Laborratten bestens zu eigenen: Sie
sind billig, neugierig, effizient. Sie zeigen konsequent und radikal neue
Wege. Dank dem wachsenden Heer von alten Menschen sind sie zudem kinderleicht
zu kontrollieren. Entwickeln die Ratten was Gutes, wird es mit einem netten
Preis bedacht. Die Fotografen und Filmteams kriechen - buchstäblich! -
vor den herzigen Gewinnern. Die Sponsoren lächeln entzückt in die Linsen.
Entsteht aber etwas Böses fällt die ganze vernichtende Abscheu über die
Kinder her.
Müssen wir Kinder unter Artenschutz stellen?
An der Ars Electronica ist der Einfluss der Kinder traditionell und gross.
Nicht nur beim speziellen Wettbewerb für Kids unter 19 Jahren (u19) werden
erstaunliche Ergebnisse an die Oberfläche befördert. Die Veranstalter
bestätigen an jeder Pressekonferenz die Wichtigkeit der Arbeit der Kinder.
Und einer der Sponsoren erzählt locker, wie genial Imagekorrekturen bei
den Kids erzielt wurden. Natürlich weiss er auch, dass wenn es einer Marke
nicht gelingt das Kind zu erreichen, diese den Erwachsenen nie mehr findet.
Also: Der Run auf solche Wettbewerbe müsste und könnte riesig sein. Die
Zusammenarbeit mit Kindern zudem legitim. Solange aber wir Alten die Kinder
zur Aufzucht der Schule abgeben und dort der Lehrerschaft Geld, Anerkennung
und offensivste Unterstützung entziehen und diese zu Türwärtern degradieren,
bewegen wir uns auf abscheulichem Terrain.
"Next Sex" wurde seinem Untertitel gerecht und zeigte tatsächlich
den Stellenwert von "Sex im Zeitalter reproduktiver Überflüssigkeit":
Spermien werden für Wettrennen eingesetzt. Kinder werden anders gezeugt.
Diese werden lediglich zur Herstellung von Neuem missbraucht. So kann
auch erkannt werden, dass der Generationenkonflikt entbrannt ist. An einer
Stelle, welche wohl niemand erwartet hat: Zuvorderst an der Entwicklung
von Innovation, Kreativität und Produktion.
GenerationWar
Heisst so das Thema der Ars Electronica 2001? Sogar die Veranstalter wissen
es nicht. Richtig aber ist der Entschluss, den drängenden Fragen von "live
science" treu zu bleiben. Der Austausch zwischen Kunst, Technologie und
Gesellschaft ist dringend und notwendig. Und die Ars leistet eine vielfältig
anschlussfähige Entwicklungsarbeit!
Links:
Homepage Ars Electronica: www.aec.at/nextsex
kein spURLoses tagebuch: www.intervention.ch/tagebuch
von Stefan M. Seydel, Sozialunternehmer in der Regio Bodensee.